Am Freitag 16. Oktober 2009 fand in der Stadt Bern zum dritten Mal Ethnopoly statt. Die Durchführung verlief erfolgreich, herzliche Gratulation an die Personen im Projektteam sowie die freiwilligen HelferInnen am Anlass. Folgender Beitrag erschien am selben Tag auf Telebärn.
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Arbeitszeit – Freizeit – Sozialzeit
Hier ein Artikel zu Freiwilligenarbeit und Sozialzeit. Erschienen in der Zeitung “Der Bund” am 13.10.2009.
Nicht selten fällt es uns schwer, gebräuchliche Begriffe klar mit Worten zu umschreiben. Der Begriff der Arbeitszeit stellt ein solches Beispiel dar. Umgangssprachlich verstehen wir darunter die Zeit, die man im ausgeübten Beruf als Angestellte oder selbstständig Erwerbende verbringt.
Das Gegenüber ist die Freizeit, in welcher man von der Arbeit im Beruf freigestellt ist und sich seinen eigentlichen oder weiteren Interessen widmen kann.
Diese Beschreibung enthält jedoch bereits einige Schwierigkeiten. Wozu gehört die Hausarbeit? Wo ist die Abgrenzung für Personen, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben? Wozu gehört die Organisation des jährlichen Unterhaltungsabends des Dorfvereins? Auf allgemeiner Ebene eine klare Abgrenzung zwischen Arbeits- und Freizeit zu finden, scheint nicht einfach.
Arbeitszeit, Freizeit, Sozialzeit – in jüngerer Zeit wurde ein weiterer Begriff hinzugefügt, die Sozialzeit. Darunter wird der meist unentgeltliche, freiwillige Einsatz für das Gemeinwohl im Rahmen von Vereinen und Interessengruppen verstanden, die sogenannte Freiwilligenarbeit.
Hierzu gehören zum Beispiel Engagements für ältere und behinderte Menschen, für den Schutz der Natur, für die Förderung und Erhaltung von Kulturgütern sowie auch die Erledigung organisatorischer Aufgaben im Rahmen von Sportvereinen und anderen Gemeinschaften. Die Koordinationsstelle Benevol bündelt gewisse solcher Möglichkeiten und vermittelt zwischen den interessierten Personen und den Gruppen, die Mitglieder suchen.
Welches ist aber das bestimmende Element der Sozialzeit? Weder der innere Antrieb, das Freiwillige, noch die Tätigkeit zugunsten des Gemeinwohls machen das Einzigartige an der Sozialzeit aus, da sie beide auch in der Berufswelt, also in der Arbeitszeit, vorkommen. Es scheint mir, als ob die Idee der sozialen Verantwortung das charakteristische Merkmal der Tätigkeiten in der Sozialzeit ist.
Es geht darum, neben der Verantwortung für sich und seine Nächsten, sich auch der Verantwortung für Themen der Gemeinschaft oder der Gesellschaft zu stellen. Dies beinhaltet, sich aktiv an der Gestaltung der eigenen Lebensumwelt zu beteiligen und dafür Verantwortung zu übernehmen. Diese Themen können lokal, regional oder global sein, vom Einsatz für den Erhalt des örtlichen Biotops über die Organisation des Flohmarktes zum Kulturklub zur Förderung von Schulen in Guatemala.
In der Schweiz sind wir uns gewohnt, dass sich der Staat (weiträumig) sozialen Anliegen annimmt. Wenn wir den Staat als Ausdruck unseres gemeinsamen Willens ansehen, so bedeutet dies, dass wir einen Teil unserer sozialen Verantwortung staatlichen Institutionen zur Erledigung übergeben haben. Aus Gründen der Organisation und Koordination macht dies bis zu einem gewissen Ausmass Sinn. Nichtsdestotrotz bedeutet dies nicht, dass wir uns somit der sozialen Verantwortung entledigt fühlen dürfen.
Der Begriff des Patrons beschreibt den Unternehmer, der sich der sozialen Verantwortung seinen Mitarbeitern und der Gesellschaft gegenüber stellt. Es wäre jedoch kläglich, soziale Verantwortung nur auf jene abzuschieben, welche die entsprechenden Mittel bereits zur Verfügung haben, also auf den Staat und auf vermögende Personen.
Jede und jeder kann sich im Rahmen seiner Möglichkeiten und entsprechend seinem inneren Antrieb engagieren. Die wichtigsten Ressourcen stellen die Motivation und die dafür verwendete (freie) Zeit dar.
Die Einführung des Begriffs der Sozialzeit in der Aufteilung Arbeitszeit-Freizeit erleichtert die Eingrenzung dieser Begriffe nicht. Dies ist jedoch ein sprachliches Problem. Auf der Ebene der Ideen erinnert uns der Begriff Sozialzeit jedoch daran, dass wir trotz eines funktionierenden staatlichen Gemeinwesens nicht von unserer sozialen Verantwortung befreit sind, sondern uns ihrer bewusst sein sollten.
Thierry Graf